Mitarbeiter wird Betrieblicher Ersthelfer – und reanimiert 12-jähriges Mädchen!
Niemand würde erwarten, daß einem hier am Besprechungstisch ein Held gegenübersitzt. Doch alles der Reihe nach.
Donnerstag, der 26. September 2024, wird mir im Gedächtnis haften bleiben. Ich bin auf einem Routinebesuch bei einem Lebensmittel-Logistikunternehmen im südlichen Rhein-Main Gebiet. Es geht im Rahmen unseres Vertrages um die routinemäßige Beratung der Führungskräfte zum Arbeitsschutz, und die regelmäßige Überprüfung aller technischen, organisatorischen und personenbezogenen Schutzmaßnahmen, sowie der dazugehörenden Dokumente. Das Übliche Tagesgeschäft. Die Firma ist gut aufgestellt, professionell geführt, und alles wird in insgesamt sehr ordentlichem Zustand vorgefunden. An der Besprechung nimmt auch der Sicherheitsbeauftragte Herr L. teil. Er tritt als ruhig und sachlich, und eher bescheiden wirkender Mann auf.
Beim letzten Besuch wurde erwähnt, daß, obwohl es eine formal ausreichende Anzahl von Ersthelfern im Betrieb gibt, unabhängig von der aktuellen Anzahl jederzeit weitere Mitarbeiter an der Schulung zum Ersthelfer teilnehmen können. Ohne daß dem Unternehmen Kosten entstehen. Die versichernden Berufsgenossenschaften als interessierte Partei übernimmt diese Schulungskosten. Herr L. hatte sich daher entschlossen, betrieblicher Ersthelfer zu werden, und ebenfalls an der Ersthelfer-Schulung teilgenommen. Im Gespräch wird beiläufig erwähnt, daß er dadurch unmittelbar „ein Leben retten konnte“. Ich bin elektrisiert: „Wie bitte?“ Die Geschichte, die ich daraufhin zu hören bekomme, klingt so unglaublich, daß es mir schier den Atem verschlägt:
Im Italien-Urlaub habe es am Strand plötzlich Aufregung und Hilferufe gegeben. Herr L. sei hinzugeeilt, und habe ein Kind im Wasser treiben gesehen – kopfunter. Kurzentschlossen zog er mit anderen gemeinsam den leblosen Körper auf den Strand. Obwohl eine große Anzahl aufgeregter Menschen dabei waren, war offenbar niemand der Umstehenden in der Lage, dem Kind, bei dem kein Puls mehr zu fühlen war, Hilfe zu leisten.
Kurzer Einschub: Erinnern Sie sich an das ABC der lebenserhaltenden Sofortmaßnahmen?
A = Atmung
B = Blutung
C = Schock
Weil der Lehrgang zum betrieblichen Ersthelfer noch nicht lange zurücklag, erkannte Herr L., was hier für das Überleben des Kindes unmittelbar notwendig war. Entschieden begann er, die Herz-Lungen-Wiederbelebungsmaßnahmen durchzuführen, wie er dies erst vor Kurzem erlernt hatte. Völlig auf sich allein gestellt, hielt er diese überaus anstrengende Wiederbelebung Schätzungen der Augenzeugen zufolge über mehr als 12 Minuten lang ununterbrochen durch. Zwischendurch sprach er das Kind wiederholt an. „Stirb mir hier jetzt nicht weg!“ Er gab nicht auf, bis seine Bemühungen von Erfolg gekrönt wurden, und das Mädchen wieder zu Bewußtsein kam.
Daß keiner der anwesenden „Rettungsschwimmer“ hierzu in der Lage war, und der alarmierte Notarzt 45 Minuten bis zu seinem Eintreffen am Unfallort benötigte, ist eine betrübliche Feststellung am Rande. Es steht zu hoffen, daß die Verantwortlichen der lokalen Administration ihre Schlüsse daraus ziehen. Als gesichert erscheint: Ohne die entschiedene Hilfe und richtige und energische Duchführung der Herz-Lungen-Wiederbelebung durch den Ersthelfer Herrn L. hätte die 12-Jährige den Badeunfall nicht überlebt, und wäre am Unfallort verstorben. Das Kind und die Mutter, die ihrerseits kurz vor der Ohnmacht stand, wurden anschließend mit dem RTW in´s nächstliegende Krankenhaus verbracht.
Alle in der kleinen Runde sitzen berührt und mit „Gänsehaut“ am Tisch. Bleibt zu erwähnen, daß niemand Herrn L. gegenüber Dank ausgesprochen habe. Doch darum geht es auch nicht, wenn ein Mensch in einer Notfall-Situation für andere beherzt und entschieden spontan Hilfe leistet. Das Richtige konsequent getan zu haben, das ist es, was zählt. Umso schöner, wenn geleistete Hilfe von deratigem Erfolg gekrönt ist.
Wie ist das bei Ihnen: Wären Sie in der Lage, in einer ähnlichen Situation so zu handeln? Wieviele betriebliche Ersthelfer gibt es unter Ihren Kolleginnen und Kollegen? Wer wäre imstande, Ihnen zu helfen, wenn es Sie mal „erwischt“? Wie würde es sich anfühlen, wenn Sie wüßten: „Ich kann helfen, wenn in der Familie, beim Sport oder auf der Straße jemand verunfallt“ ?
Als Fazit können zwei Feststellungen getroffen werden:
1) Zuviele Ersthelfer gibt es nicht!
Und
2) Niemand weiß, ob und wann Prävention Früchte trägt oder Erfolge zeitigt.
Für uns als beratende Sicherheitsfachkräfte ist das eine oft erlebte Gefühlslage: Die Unsicherheit oder Ambivalenz, die bei Sicherheitsfachkräften und Sicherheitsingenieuren mit der Zeit manchmal zu einem Gefühl der Frustration oder Entmutigung führen kann. Weil wir wissen, daß unsere präventive Arbeit zwar wichtig ist. Direkte Erfolge oder die positiven Auswirkungen bleiben jedoch im Dunkeln, da sie weder exakt messbar noch direkt erfaßbar sind. Daher kann bei Menschen, die sich im Bereich der Gesundheitsprävention oder Unfallverhütung engagieren, zuweilen eine als „Sinnkrise“ oder „Zweifel“ erlebte Motivationslage einstellen, wenn solche Menschen mit der Zeit die Wirksamkeit ihres Engagements und der getroffenen Maßnahmen in Frage stellen. Man kann auch von einem „Mangel an Feedback“ oder „Ungewissheit über den Einfluss“ sprechen, was auf Dauer die Motivation und die emotionale Befriedigung im Rahmen solcher Tätigkeiten beeinträchtigen kann. Das Thema wäre eine Ausarbeitung an anderer Stelle wert.
Doch sicher ist: ohne Prävention wäre die Sterberate in allen Bereichen des täglichen Lebens weitaus höher! Insofern möchten wir hier insbesondere eine Lanze brechen für die Anerkennung und das Engagement aller versicherten Beschäftigten und deren Vorgesetzten, die die Sicherheit und den Schutz der Gesundheit bei der Arbeit ernst nehmen, aktiv unterstützen und vorantreiben. Insbesondere qualifizierte Ersthelfer können, wie das oben geschilderte dramatische Beispiel des Kollegen L. zeigt, auch außerhalb des betrieblichen Geschehens für sich und andere lebensrettend eingreifen, wenn buchstäblich Not am Mann ist.
Wer sind die Ersthelfer in Ihrem Unternehmen? Kennen Sie die Kolleginnen und Kollegen? Wissen Sie, wo Sie im Notfall schnellstmöglich einen davon finden? Wann haben Sie sich zuletzt vom Funktionieren der Rettungskette bei Ihnen überzeugt?
Inspiriert, geschockt, amüsiert, was gelernt oder verstanden, fachlich interessiert, oder voll verrissen? Schreiben Sie uns gern Ihr Feedback unter