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Lastabsturz vom Magnetkran zeigt Organisationsmängel auf

Rabadaboummm! Plötzlich ist die Szene wie schockgefrostet. Das Gespräch ist abrupt verstummt. Sieben Männer ziehen unwillkürlich die Köpfe ein. Wie auf Kommando einer unsichtbaren Choreografie drehen sich alle um und setzen sich in Bewegung. Dahin, wo es grade laut geknallt und gescheppert hat. Der Anblick, welcher sich den Männern auf ihrer Arbeitsschutzbegehung einige Meter weiter bietet, wirkt so unglaublich wie aus so einem bizarren Video bei YouTube oder TicToc. Nur dass wir es hier nicht mit einer Film-Szene aus Pakistan, China oder Bangladesch zu tun haben. Wir stehen life mitten in einem Betrieb eines renommierten deutschen Unternehmens. Was also ist passiert?

Zweieinhalb Tonnen Stahldraht-Bündel im freien Fall

Ein 15 m langes Bündel Armiereisen ist aus mehreren Metern Höhe vom Magnet-Hallenkran auf einen Schrottcontainer abgestürzt. Die schlechte Nachricht: So einen Einschlag, das hält der stabilste Container nicht aus. Erste Feststellung: DIESER Schrottcontainer muss ab sofort unter Beibehaltung der Bezeichnung funktional umgewidmet werden. Die gute Nachricht: Zum Glück stand kein Mitarbeiter an der Stelle, wo der Stahldraht vom Magnetkran abgestürzt ist. Hätte sich in dem Moment einer dort aufgehalten, wäre er vermutlich tot gewesen.

Beinahe-Unfall: Glück gehabt, nur Sachschaden

Das gilt für die Mitarbeiter, von denen gottseidank keiner verletzt wurde. Und für den Geschäftsführer, den Betriebsleiter und den Schichtführer, die als Vorgesetzte hier durch pures Glück keinen Arbeitsunfall verantworten müssen. Man hat es nur mit einem deformierten Schrottcontainer zu tun.  Blechschaden also. Wirklich pures Glück. Das hätte auch anders ausgehen können… So ist es also nicht das worst-case-szenario, kein Arbeitsunfall. Lediglich eine Havarie oder Störung. Das Besondere: Dieser Vorfall muss als Beinahe-Unfall klassifiziert werden. Und das hat ebenso Folgen. Wenn auch nur betriebs-intern.

Was wäre gewesen, wenn bei diesem Vorfall ein Mitarbeiter schwer verletzt oder getötet worden wäre?

Das ist die Leitfrage, unter der sofort mit der Untersuchung des Vorfalles noch unmittelbar am Ort des Geschehens begonnen wird. Schliesslich sind ja bereits alle versammelt, die in dieser Betriebsstätte zum Thema Arbeitssicherheit, Prävention und Gesundheitsschutz beitragen: Der Betriebsleiter, der Logistikleiter, der Schichtführer, zwei Kollegen in ihrer Eigenschaft als  Sicherheitsbeauftragte, sowie der externe Betriebsmediziner und die beratende Sicherheitsfachkraft. Und natürlich der Kranführer, der im Moment des Absturzes den Hallen-Brückenkran mittels Bedienerflasche geführt hatte.

Die genaue Betrachtung des Prozesses zeigt die Ursache

Der Bediener wird gebeten, ein weiteres Drahtbündel mit dem Kran aufzunehmen. Alle halten den notwendigen Abstand, und verfolgen gespannt, wie der Vorgang abläuft. Und dabei fällt auf: Die Drahtbündel sind mittels 3mm Stahldraht zusammengebündelt. Der Magnetkran hat fünf Elektromagneten, die linear an einer Traverse hängen, um Langgut aufnehmen zu können. Die Sicherheitsfachkraft erkennt den Fehler: Der Bediener setzt einen der Haftmagnete auf einen Bindedraht auf. Stop! Foto, alles klar…

Schon eine kleine Fehlpositionierung bei der Lastaufnahme bewirkt die Gefahr

Es reicht ein Millimeter dünner Luftspalt zwischen Elektro-Magnet und Last, dass die elektromagnetische Flussdichte soweit verringert ist, dass die Haltekraft nicht mehr ausreicht. Da es der äusserste Magnet an der Traverse ist, reicht die leichte Auf-Ab-Schwingung der überstehenden Lastenden – gebündelte Baustahldrähte –  aus: die Last reisst vom Magneten ab. Der Rest ist Kettenreaktion durch die Schwerkraft.

Intern ist die Schuldfrage irrelevant – Verantwortung zählt

Aber, Moment mal! Wer sagt denn, dass immer ein Vorgesetzer schuld sein muss, wenn irgendwo im Betrieb irgendwas passiert? Richtig, das sagt – erst einmal – niemand. Jedenfalls solange nicht, bis das Gegenteil bewiesen ist. Und das kann, wenn die Strafverfolgungsbehörden im Falle eines Unfalles mit Schwerverletzten oder Toten erst einmal Ermittlungen aufgenommen haben, für die beteiligten Verantwortlichen im Betrieb sehr belastend und nervig werden. Hier war das zum Glück nicht der Fall. Die Verantwortung für den Vorfall liegt dennoch bei den Führungskräften. Und so wurde nochmals eingehend nachüberprüft und gerechnet: Tragfähigkeit des Krans, Haftkraft der Magnete, genügende Auflagefläche, etc. etc. Obwohl die vermutete Ursache unmittelbar erkennbar war, wurde der Kran dennoch vorläufig gegen Benutzung gesperrt, bis eine technische Überprüfung des Gewerkes einschliesslich Steuerung und Puffer-Akku den technisch einwandfreien Zustand dokumentiert.

Unachtsamkeit und mangelndes Wissen weisen auf Mängel in der Arbeitsschutzorganisation hin

Bedienerfehler? Menschliches Versagen? In einer autoritären Führungskultur würde jetzt der Mitarbeiter gerügt,  evtl. abgemahnt etc. da hier die Führungskräfte nach dem Schuldprinzip die eigene Entlastung anstreben. Eine Lernkultur mit einem fehlertoleranten und vertrauensvollen Führungsstil dagegen setzt auf gemeinsames Lernen, zusammen mit allen Beteiligten: Welche Erfahrung haben wir gemacht? Was war auffällig? Was lernen wir daraus für die Zukunft, alle miteinander? Sodass sich sowas möglichst sicher nie, nie, nie und niemals wiederholt? Eine nachhaltig funktionierende Arbeitsschutzorganisation lässt sich nicht „implementieren“ wie eine neue Software. Die entsteht quasi als Nebeneffekt, wenn wir gemeinsam am Führungsstil arbeiten. Das setzt Bereitschaft, Offenheit und Lernwille ALLER Beteiligten voraus.

Und darüber sprechen wir im nächsten Blogbeitrag.

 

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