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Neue Bearbeitungsmaschine mit CE-Zertifikat ohne Sicherheitseinrichtungen geliefert – Sicherheitsfachkraft erkennt Mängel und zeigt Lösungsweg

Mit der neuen Maschine sollte alles besser, schneller, und vor allem billiger gehen. Stattdessen kam der Ärger in´s Haus! Doch der Reihe nach. Die Produktion soll ausgeweitet werden, also wird entsprechend geplant, und dann sechsstellig eckiges Geld für eine nagelneue Drahtbiege-Maschine investiert. Zum Verständnis: Wenn hier von „Draht“ gesprochen wird, geht es um daumendicke  Armier-Eisen aus Baustahl. Der ausgewählte Hersteller und Lieferant der Maschine als Erst-In-Verkehr-Bringer ist im europäischen Ausland ansässig. Die Maschine wurde wie bestellt vom Hersteller kundenspezifisch gebaut und gemeinsam mit diesem in Betrieb genommen. Nachdem die Bediener eine entsprechende Einweisung erhalten hatten, wurde die Produktion hochgefahren. Der Kunde war hochzufrieden. Die CE-Konformität war selbstverständlich Bestandteil des Gesamtpaketes. Folglich hatte er vom Hersteller als dem In-Verkehr-Bringer der Maschine mit der Maschinen-Dokumentation ein CE-Zertifikat erhalten. Insofern wähnte sich der Unternehmer als Betreiber, was das Sicherheitskonzept für die neue Maschine betraf, sowohl im Sinne der 42. europäischen Maschinenrichtlinie als auch der Betriebssicherheitsverordnung und den nachgeordneten staatlichen Technischen Regeln zur nationalen Ratifizierung und Umsetzung der Europäischen Binnenmarktrichtline auf der sicheren Seite. Soweit in der Theorie alles gut.

Die externe Sicherheitsfachkraft überprüft die Dokumentation des In-Verkehr-Bringers…

Einige Tage später kommt die beratende Sicherheitsfachkraft zu einem der regelmäßig stattfinden Termine in die Betriebsstätte. Natürlich ist die neue Drahtbiege-Maschine das Thema Nummer eins im Betrieb! Darum wird als erstes die Hersteller-Dokumentation gesichtet: Ist das Sicherheitskonzept klar beschrieben, und die Hinweise zum sicheren Betrieb für die Bediener in der Betriebsanleitung vollständig und klar formuliert? Soweit am „grünen Tisch“ erkennbar, ist das in Ordnung, check! Ist die CE-Konformitätserklärung vorhanden und durch einen haftenden Vertreter des In-Verkehr-Bringers unterschrieben? Check! Nun sind alle gespannt, die neue Maschine endlich  im Betrieb zu erleben. Stolz steht der Betreiber vor dem neuen Prachtstück: frisch lackiert und glänzend-sauber steht sie da. Der Maschinen-Bediener fertigt kundenspezifisch gebogene und abgelängte Armier-Eisen aus Draht von der Haspel flott in größerer Stückzahl. Alles läuft als verkettetes System einwandfrei.

…schaut sich anschließend das Arbeitsmittel genau an…

Wie stets bei unseren Besuchen schauen wir uns kritische, d.h. potentiell gefährliche Arbeitssysteme und deren einzelne Elemente immer sehr genau an. Aus einigen Metern Abstand während des Betriebes. Und zwar so, dass weder der Bediener irritiert oder verunsichert wird, noch irgendeine Art von Störung der Abläufe eintritt. Dabei lassen wir uns auch durchaus viel Zeit. Wesentliche Eigenschaften von Arbeitsmitteln lassen sich meist nur aus der unmittelbaren Wahrnehmung und dem Verständnis der Funktion erkennen. Wie laut ist das System im Betrieb, wie sind die räumlichen Verhältnisse, wie bewegt sich der Bediener bzw. der dort arbeitende Mensch, ist der Bewegungs- und Arbeitsraum ausreichend und hindernisfrei? Wie läuft der Materialfluss, die Teileaufgabe bzw. Werkstück-Zuführung, wie erfolgt die Teileentnahme? Arbeitet das System als verkettetes Element mit anderen Systemen, Maschinen und Anlagen unmittelbar zusammen? Wie sind die Lichtverhältnisse, gibt es Blendung von außen oder Schall aus benachbarten Arbeitssystemen und den dort laufenden Prozessen? Wie heiß oder kalt ist es, riecht es irgendwie, liegt Material, Werkzeug, Ersatzteile herum, sind Wasserlachen oder Ölflecken am Boden? Und: Sind alle erkennbaren Sicherheitseinrichtungen vorhanden, und dort wirksam, wo sie bestimmungsgemäß sein sollten?

…und deckt dabei technische Mängel auf!

Und hier fiel etwas Entscheidendes auf: Vom Bedienerplatz aus ist der rückwärtige Teil der übermannshohen Maschine nicht einsehbar. Das wäre an sich nicht weiter schlimm. Wenn hier nicht regelmäßig die Drahtstücke nach der Bearbeitung mit einem unter der Maschine automatisch hindurch fahrenden Transportschlitten von Hand gebündelt, an den Hallenkran angeschlagen und zum Weitertransport aufgenommen werden müssten. Danach rückt der leere Schlitten, sowie er vom Bediener als leer quittiert wurde, vollautomatisch wieder unter der Maschine hindurch nach vorne ein. Das erfolgt, ohne dass der automatische Anlauf verhindert werden kann, noch durch Signal zumindest vorher angekündigt wird. Nicht mal ein Not-Aus-Schalter ist hier erreichbar installiert. Es besteht also die sehr reale Gefahr, dass ein Mitarbeiter vom Transportsschlitten erfasst und unter die Maschine eingezogen werden kann. Das bedeutet im Klartext: technisch entspricht die Maschine nicht der Dokumentation! Damit ist das vorhandene CE-Zertifikat unwirksam, es ist das Papier nicht wert, auf dem es gedruckt und unterschrieben wurde. Denn die Maschine weicht in wesentlichen Aspekten der Betriebssicherheit vom durch den In-Verkehr-Bringer dokumentierten Zustand ab! Das dokumentierte Sicherheitskonzept „Fahren von Hand auf Sicht“ greift nur, soweit es die vordere Bedienerseite betrifft. Der Automatikbetrieb des Schlittens stellt im nicht abgesicherten Bereich die erhebliche Gefahr ernsthafter Verletzung, im Schlimmsten Falle mit Todesfolge, für die Mitarbeiter dar. Die Ad-Hoc Risikoeinschätzung ergibt: Rote Risikostufe, das heißt konkret: unmittelbare Risikoabsenkung ist zwingend erforderlich! Vielleicht ist sogar „Gefahr im Verzug“ gegeben! Letztendlich wird festgestellt. Würde sich an der Maschine in diesem Zustand ein Unfall ereignen, wäre einwandfrei festzustellen, daß die Maschine sicherheitstechnisch nicht auf Stand der Technik ist!

Der Betreiber steht im vollen Haftungsrisiko und ist darüber „not amused“

Das ist für den Unternehmer und die Führungsverantwortlichen an dieser Stelle entscheidend. Denn haftungsrechtlich gesehen ist hier eine unhaltbare Risikosituation für den Betreiber geschaffen worden. Ummittelbar mit dieser Feststellung informiert die Sicherheitsfachkraft den hier verantwortlichen Betriebsleiter über den kritischen sicherheitstechnischen Mangelzustand. Zeitgleich über sein persönliches, damit für ihn verbundenes Haftungsrisiko als Betreiber. Der Mann war dann auch alles andere als erfreut… Die erste Entscheidung des Betriebsleiters war daher ebenso folgerichtig wie konsequent: die Produktion an der Maschine wird ausgesetzt, und die Maschine gegen weitere Benutzung gesperrt. Dem Bediener wird einstweilen eine andere Tätigkeit zugewiesen. Der Ärger ist groß, entsprechend schnell und lautstark glüht der Draht quer über die Alpen zum Maschinenhersteller. Nach einer halben Stunde, in der mehrere Telefonate geführt, und diverse Bilder der Situation an den Hersteller geschickt wurden, steht fest: Hier wurden mehrere Lichtschranken bzw. Lichtvorhänge mit Einbindung dieser Sicherheitsbauteile in die Maschinensteuerung, sowie und die entsprechenden Bodenmarkierungen und Absperrgitter mit durchgriffsicheren Quittier-Schaltern an den Durchgängen, einfach „vergessen“. Ein Auftragsanteil in Höhe von fünfstellig eckigem Geld. Auf der inzwischen vollumfänglich bereits bezahlten Rechnung sind alle diese Elemente jedoch ausgewiesen! „Man kann´s ja mal probieren…“, dieser Eindruck drängt sich den Beteiligten dabei unwillkürlich auf… Es ist der Aufmerksamkeit, Erfahrung und der geschulten Beobachtungsgabe der beratenden Sicherheitsfachkraft zu verdanken, daß der Hersteller damit nicht durchkommt – vorausgesetzt, es war eine Absicht im Spiel. In der Sache bleibt diese Hypothese jedoch ebenso spekulativ wie irrelevant. Was zählt, sind die dokumentierten Fakten. Besonders nach Unfällen, und deren juristischer Aufarbeitung. Soweit darf es in gar keinem Falle kommen.

Nachrüstung auf „Stand der Technik“ als Mindest-Ziel

Der Hersteller verspricht denn auch zerknirscht kleinlaut schnelle Abhilfe, und die entsprechend zeitnahe Nachlieferung der fehlenden Komponenten und Nachrüstung. Damit auf diesem Wege an der Maschine sicherheitstechnisch schnellstmöglich der vom Gesetzgeber geforderte „Stand der Technik“ sichergestellt ist. Denn die an der betreffenden Stelle noch fehlenden berührungslos trennenden Schutzeinrichtungen wie Lichtschranke und Lichtvorhang stellen derzeit den „Stand der Technik“ dar. Den Produktionsausfall dagegen, bis die Nachrüstung schlussendlich erfolgt ist, und mit der Maschine nach „Stand der Technik“ ausreichend sicher weitergearbeitet werden kann, den bezahlt dem Betreiber niemand…

Durchsetzung der erforderlichen Standards auf dringliches Anraten der Sicherheitsfachkraft bewirkt Schadensvermeidung

Schlußendlich ist alles gut gegangen. Der geschulten und auf langjähriger Erfahrung basierenden gezielten Beobachtung und Analyse der Sicherheitsfachkraft, sowie der fachlichen und emotionalen Unterstützung des Unternehmers bei der Vertrags-Klärung gegenüber seinem Lieferanten, ist es zu verdanken, daß der Unternehmer als Betreiber die nicht akzeptablen Benutzer-Gefährdungen für seine Mitarbeiter, und das damit verbundene Betreiber-Risiko für alle verantwortlichen Führungskräfte erkannt, und schnellstmöglich wirksam abstellen konnte.

Besser wäre es gewesen, von Vornherein, ggf. mit unserer fachlichen Unterstützung, den Beschaffungsprozess so zu gestalten, dass bei Übergabe und Inbetriebnahme der Maschine alle erforderlichen Sicherheitseinrichtungen explizit auf Vorhandensein und sichere Funktion überprüft worden wären.

Szenario: Was hätte passieren können?

Denn das Ganze hätte auch anders ausgehen können! Wäre an der Maschine ein Mitarbeiter verunfallt, bevor die Sicherheitsmängel aufgefallen und behoben wurden, so hätten die hier Verantwortlichen als Betreiber der Maschine für die Unfallfolgen persönlich in der Haftung gestanden. Vom Geschäftsführer des Unternehmens, über den Betriebsleiter, den Fertigungsleiter, bis zum Schicht- oder Gruppenleiter. Und zwar strafrechtlich, wie ggf. darüber hinaus auch noch zivilrechtlich und privatrechtlich. Was das für Unternehmer und Führungskräfte in Einzelnen bedeuten kann, erfahren Sie hier.

Prävention: Was hätte vorher getan werden müssen?

Wie hätte sich ein solches Sicherheits-Risiko für die Mitarbeiter, und ein damit verbundenes Haftungsrisiko für die Verantwortlichen bei der Neubeschaffung von Maschinen, Anlagen und Arbeitsmitteln von Vornherein ausschließen lassen? Lesen Sie hier.

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